Langsam aber sicher neigt sich das Jahr dem Ende entgegen – höchste Zeit also, zurückzublicken. Aber seien wir ehrlich: Wer will schon die tausendste Top 10 oder Flop 10 Filmliste sehen? Von Elon Musk und der Twitterposse über die Fußball WM in Katar bis hin zum schrecklichen Ukraine-Krieg ist 2022 auch abseits der Filmwelt vieles passiert. Und für jedes Ereignis gibt es natürlich auch den passenden Film. Deswegen wollen wir uns zum Abschluss des Jahres die Filme ansehen, die 2022 am besten beschreiben. Filme sind zwar keine Realität, aber sie zeigen die Realität. Hier sind meine 5 Filme für das Jahr 2022.
1. Elon Musk und Twitter - The Social Network (2010)
Nach monatelangem Hin und Her war es Ende Oktober endlich soweit: Elon Musk kauft Twitter. Was dann folgte, las sich wie ein Handbuch namens „How to ruin a company in a few months“. In kürzester Zeit reduzierte der Milliardär die Belegschaft des Kurznachrichtendienstes um die Hälfte; ließ gesperrte Accounts, etwa von Donald Trump, wieder zu. Promis verließen die Plattform, Werbepartner sprangen ab. Während ich das hier schreibe, hat Musk gerade eine Umfrage auf Twitter am Laufen, ob er weiter der CEO des Unternehmens bleiben soll. Musk geht es darum, wie er gerne sagt, die Welt zu verbessern und die Meinungsfreiheit zu retten.
Ganz gleich, wie die Twitterposse ausgeht: Wer das Wesen der Menschen hinter der US-amerikanischen Tech-Industrie verstehen will, sollte sich The Social Network von David Fincher ansehen. Der Film erzählt die Entstehungsgeschichte von Facebook. Im Fokus steht Gründer Mark Zuckerberg (Jesse Eisenberg). Nachdem seine Freundin Erica Albright (Rooney Mara) sich von ihm trennt, entwickelt Zuckerberg ein Portal, auf dem man die Attraktivität von Frauen bewerten kann. An die Bilder der Frauen gelangt er, indem er die Datenbanken der Universität hackt. Zuckerberg geht noch weiter und schreibt in seinem Blog Hasskommentare über seine Exfreundin. Zuckerberg ist also von Anfang an alles andere als ein Philanthrop, der durch Technik die Welt verbessern will. Viel mehr wird er getrieben durch Frust und Egoismus. Schließlich gründet er Facebook. Auf die Idee kommt er nicht selbst, sondern er stiehlt sie. Zuckerberg hintergeht bei dem Aufbau der Social Media Plattform zahlreiche Menschen. Er ist listig, infantil und eiskalt. Er drängt seinen besten Freund Eduardo Saverin (Andrew Garfield) aus dem Unternehmen und später seinen Mentor Sean Parker (Justin Timberlake). Am Ende steigt er zum Alleinherrscher von Facebook auf. Auch wenn The Social Network immer noch ein Film und keine Realität ist, zeigt er doch, worum es „Tech-Gurus“ wie Elon Musk wirklich geht: Geld, Macht und Egoismus.
2. Fußball-WM in Katar und der DFB - The Untouchables - Die Unbestechlichen (1987)
Die Fußball-WM in Katar wird der DFB schnell vergessen wollen. Nicht nur sportlich war das Turnier eine Katastrophe, sondern auch neben dem Platz. Erst schloss der DFB den Kompromiss, zwar zum Turnier zu fahren, dafür aber ein Zeichen zu setzen. Die anschließende Idee der Nationalmannschaft, mit einer One-Love-Binde aufzulaufen, hat die FIFA abgeschmettert. Der DFB hat das akzeptiert, was für noch mehr Kritik im Land gesorgt hat. Der nächste Kompromiss war dann die „Mund-zu-Geste“ der Spieler, die man hierzulande als noch lächerlicher empfunden hat. Danach sollte es dann bitte gar nicht mehr um Politik gehen, sondern nur noch um Sport.
Höchste Zeit, lieber DFB, für eine Lehrstunde zum Thema Integrität. In Brian de Palmas The Untouchables – Die Unbestechlichen kämpft der Polizist Elliot Ness (Kevin Costner) gegen die Chicagoer Alkohol-Mafia um Al Capone (Robert De Niro). Ness trommelt sich für den Kampf eine kleine Truppe von vier Personen zusammen. Was sie eint? Sie alle haben das Ziel, der Gewalt der Mafia ein Ende zu bereiten. Und sie sind unbestechlich. Das ist wichtig, denn die Chicagoer Polizei ist ein Sumpf an Korruption, Speichelleckern und Wendehälsen – spätestens hier sollten die Parallelen zur FIFA deutlich werden. Ness und seine Crew stoßen im Laufe ihrer Ermittlungen auf heftigen Widerstand. Die eigene Polizei versucht sie mit Geld zu bestechen – die Mafia setzt auf Gewalt. Wo die meisten Menschen längst eingeknickt wären, behaupten Ness und seine Truppe sich gegen die Übermacht. Sie zeigen aber auch, was das fordert: Die Bereitschaft, Opfer zu bringen. Ness muss nach kurzer Zeit seine Familie in Sicherheit bringen, weil sie bedroht wird. Es gibt wilde Schießereien und am Ende werden einige ihr Leben lassen. Also, lieber DFB: Entweder hinfahren und die Klappe halten – oder zuhause bleiben und ein wirkliches Zeichen setzen. Beides geht nicht. Integrität tut eben weh. Aber dann wäre es keine Integrität.
3. 9-Euro-Ticket - Snowpiercer (2013)
Drei Monate lang hatten die Menschen hierzulande die Möglichkeit, für 9 Euro mit der Bahn durch ganz Deutschland zu fahren. Endlich mal ein Anfang, das ÖPNV-System attraktiver zu machen und dadurch langfristig das Klima zu schützen – könnte man denken. Doch statt der Wirksamkeit des Tickets stand etwas Anderes im Zentrum der Debatte: Punkerinnen und Punker, die sich auf Sylt eingenistet haben. Die in der Fußgängerzone Flunky Ball spielen und Bier saufen. Die Sylterinnen und Sylter und ganz Deutschland waren empört: Gesellschaftsschichten dürfen sich zwar durchmischen – aber doch bitte nicht so!
Wagen wir ein Gedankenexperiment: Was würde passieren, wenn man die Sylterinnen und Sylter zusammen mit den Punks in einen Zug stecken würde und sie dort nie wieder rauskämen? Wahrscheinlich etwas Ähnliches wie in der Geschichte von Snowpiercer. Der Film von Bong Joon-ho spielt in der Zukunft, in der die Erde in eine neue Eiszeit versunken ist. Die einzig Überlebenden befinden sich in einem Zug, der permanent fährt, ohne jemals anzuhalten. In dem Zug wurde eine strikte Gesellschaftsordnung etabliert: Die arme Masse lebt in katastrophalen Verhältnissen in den hinteren Waggons. Die wenigen Reichen vergnügen sich im luxuriösen vorderen Teil. Snowpiercer führt die Ungleichheit unserer Gesellschaft ad absurdum: Er zeigt, dass die Reichen selbst in der postapokalyptischen, mikroskopisch kleinen Welt eines Zuges eine Klassenordnung einführen würden. Der Film macht aber auch deutlich, was passieren kann, wenn man den „Schwachen“ der Gesellschaft mit ebenjener Ignoranz und Verachtung begegnet. Eines Tages bricht nämlich ein Aufstand im hinteren Teil los. Mitauslöser ist der widerliche Fraß, den die Menschen dort bekommen und der aussieht wie Hundescheiße, während die Reichen feinstes Sushi essen. Oettinger vs. Gosch. Die Armen wollen sich schließlich mit Waffengewalt bis nach vorne durchkämpfen und das System stürzen. Dafür sind sie alles bereit zu geben – auch ihr eigenes Leben. Wenn die Punkerinnen und Punker also das nächste Mal in eurer Fußgängerzone aufschlagen, könnt ihr Sylterinnen und Sylter ja mal für 9 Euro nach Neukölln fahren und dort einen Gosch-Stand aufschlagen. Manchmal ist es nämlich cool, aus seiner Bubble rauszukommen, offen zu sein und gesellschaftliche Durchmischung zuzulassen. Wenn nicht, nun ja: Dann stehen eines Tages vielleicht die „armen Schlucker“ mit dem Baseballschläger vor der eigenen Villa.
4. Tod von Queen Elizabeth II. - RRR (2022)
Nach fast sieben Jahrzehnten Amtszeit ist Queen Elizabeth II. dieses Jahr verstorben. Beinahe die ganze Welt hat um die Königin getrauert. Doch mit ihrem Tod ist auch eine Debatte um die koloniale Vergangenheit des britischen Königshauses losgetreten. Diesem wird von ehemaligen Kolonien immer wieder vorgeworfen, keine Verantwortung für die Kolonialzeit zu übernehmen, Raubgüter bis heute für sich zu beanspruchen und sich nie für seine Taten entschuldigt zu haben.
Ein Film, der sich mit ebenjenem Kolonialismus der Briten auseinandersetzt, ist der diesjährig erschienene RRR von S.S. Rajamouli. Als indischer Film nimmt er eine indische Perspektive ein. Das bedeutet zwar viel indischen Pathos, aber auch die Möglichkeit, zuzuhören, was ein vom Kolonialismus betroffenes Land zu sagen hat. Spielen tut RRR im Jahr 1920 in Britisch-Indien. Im Zentrum der Geschichte steht die Freundschaft zwischen dem außergewöhnlichen Krieger Bheem (N.T. Rama Rao Jr.) und dem indischen Polizisten Raju (Ram Charan). Bheem macht sich nach Delhi auf, um ein entführtes Mädchen zu retten – Raju arbeitet für die Briten und bekommt den Auftrag, den berüchtigten Bheem zu fangen. Als die Beiden sich begegnen, ahnen sie nichts von dem Auftrag des anderen – und freunden sich an. RRR zeigt einerseits die Gräuel durch die britischen Besatzer: Entführungen, Folter, Rassismus. Andererseits zeigt der Film, wie schwierig es ist, in einem besetzten Land eine Identität zu haben. Raju arbeitet zwar für die Briten, will aber eigentlich eine Rebellion gegen das Regime anzetteln: Er schwankt immer wieder zwischen diesen beiden Welten und hadert mit sich und seiner Identität. Wenn die Inderinnen und Inder die Stärke haben, so von ihrer Vergangenheit zu erzählen, dann sollte das mächtige britische Königshaus doch zumindest die Stärke haben, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Hoffen wir, dass Nachfolger König Charles III. einen Netflix-Account hat und eines Tages auf RRR stößt.
5. Ukraine-Krieg - Apocalypse Now (1979)
Es ist das Ereignis des Jahres: Russland greift die Ukraine an. Wir haben wieder Krieg in Europa. Es muss nicht viel darüber gesagt werden, wie ekelhaft, hinterlistig und dreckig dieser Angriff ist. Es muss auch nicht viel darüber gesagt werden, wie grausam dieser Krieg ist – wie grausam Kriege generell sind, es immer waren und auch immer bleiben werden.
In der Vergangenheit gab es viele Filme, die uns das vor Augen geführt haben. Doch Apocalypse Now von Francis Ford Coppola ist bis heute der Film, der dies am besten macht. Der Film spielt zur Zeit des Vietnamkriegs. Der Militärpolizist Benjamin Willard (Martin Sheen) bekommt den Auftrag, den abtrünnigen Colonel Walter Kurtz (Marlon Brando) aufzuspüren und zu töten. Kurtz hat sich in den Tiefen des kambodschanischen Dschungels versteckt und herrscht dort über sein eigenes kleines Reich. Als Willard sich mit anderen Soldaten auf den Weg zu Kurtz macht, ahnt er nicht, welche Odyssee ihm bevorsteht. Apocalypse Now ist so besonders, weil Coppola uns die Bedeutung eines Krieges in all seinen schrecklichen Facetten vor Augen führt. Auf seinem Weg durch den Dschungel begegnet Willard Tod, Kampf, Vergewaltigung, Geisteskrankheit, Politik, Hoffnungslosigkeit, Massaker, Flucht. Über all dem steht der Wahnsinn dieses sinnlosen Krieges. Willard wandelt zu Beginn bereits auf der Grenze dazu. Bezeichnend hierfür ist eine der ersten Szenen, in der Willard für den Kurtz-Auftrag von zwei GIs abgeholt wird und glaubt, verhaftet zu werden. Der anschließende Kampf durch den Dschungel ist für Willard dann auch ein Kampf gegen seine eigene Psyche. Kurtz ist dem Wahnsinn des Krieges längst verfallen. Er ist zu einem geisteskranken Sektenführer geworden, der nie mehr in sein altes Leben zurückkehren wird. Krieg ist Wahnsinn – in jederlei Hinsicht. Hoffen wir, dass diese Einsicht eines Tages alle Führer dieser Welt erreicht.
Goodbye 2022
Am Ende bleibt mir nur noch Danke an alle zu sagen, die meinen Blog gelesen haben, die ihn weiterhin lesen werden, die mal hineingeguckt haben, die ihn überflogen haben oder sich irgendwie damit auseinandergesetzt haben: Vielen Dank! Ich wünsche allen ein guten Rutsch in das neue Jahr und ich freue mich auf die kommende Zeit mit vielen, wunderbaren Filmen.
Euer Mathis