Wann habt ihr zuletzt im Kino so richtig gelacht? Als ich mir diese Frage gestellt habe, habe ich lange nach einer Antwort gesucht. Kaum mehr – so scheint es – laufen Komödien im Kino. Ich rede hier nicht von Blockbustern mit kleinen Gags zwischendurch, wie bei Marvel oder Star Wars. Ich rede von waschechten Komödien, die eigens als solche funktionieren wollen. Von Filmen, mit denen ich aufgewachsen bin, wie Shaun of the Dead, Superbad oder Hangover. Wo sind diese Filme hin, oder anders gefragt: Wieso laufen im Kino keine Komödien mehr? Die Antwort liegt in einer komplett veränderten Filmindustrie, in einer „neuen“ Gesellschaft und im Streaming.
Die wichtigsten Informationen auf einen Blick
Die wirtschaftliche Bedeutung von Komödien ist in den vergangenen Jahren dramatisch geschrumpft: Waren sie 2008 noch für 25 Prozent der Einspielergebnisse an den US-amerikanischen Kinokassen verantwortlich, waren es 2018 nur noch 8 Prozent.
Die großen Filmstudios drehen heutzutage meistens zwei Arten von Filmen: Große Blockbuster, die das investierte Geld in der Regel wieder einspielen oder kleinere Produktionen, bei denen das Investmentrisiko gering bleibt. Was dabei auf der Strecke bleibt sind Filme, die mehr als ein Blockbuster und weniger als eine kleine Produktion kosten, eben Filme aus der „Mitte”. Dazu gehören auch Komödien.
Der US-amerikanische Filmmarkt orientiert sich heutzutage immer internationaler. Da Humor auch kulturell bedingt ist, kann es heute eher passieren, dass Witze gemacht werden, die Menschen in Ländern außerhalb der USA verletzen könnten. Dazu kommen gesellschaftliche Verhärtungen sowie die Gefahr von kritischen medialen Debatten oder Shitstorms im Netz. Unter diesen Bedingungen pointierten Humor zu liefern ist schwierig und ein Risiko für die Studios.
Selbst etablierte Comedians und Comedy-Regisseure sind nicht mehr so gefragt wie früher. Dazu wenden sich viele von ihnen vom Genre ab und ernsteren Produktionen zu. Das beeinflusst auch den talentierten Comedy-Nachwuchs, der seine Chancen heute mehr im TV sucht, da die Bedingungen hier deutlich besser sind als beim Film.
Humor wird immer mehr in die großen Blockbuster, zum Beispiel Star Wars, eingepflegt. Vielen Zuschauerinnen und Zuschauern reicht das an Humor. Es gibt also eine zunehmende Verschmelzung mit anderen Genres, wobei sich das eigenständige Genre der Komödien auflöst.
Komödien wurden in den vergangenen Jahren auf Netflix und mittlerweile auch anderen Streaming-Plattformen outgesourced, wo sie auch sehr beliebt sind. Die Menschen gewöhnen sich so jedoch immer mehr an, Komödien auf kleinen Bildschirmen zu sehen und nicht mehr auf der großen Leinwand im Kino.
Der wirtschaftliche Einbruch von Komödien im Kino
Komödien waren immer ein wichtiger Teil der Filmwelt. Angefangen in den Stummfilmzeiten mit Charlie Chaplin und Buster Keaton über die ersten Tonfilme mit Laurel und Hardy (Dick und Doof) bis hin in die Moderne, etwa mit Monty Python (Das Leben des Brian) und dem ZAZ-Trio (Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug; Die nackte Kanone). Den Comedy-Höhepunkt markieren wahrscheinlich die Jahre zwischen 2000 und 2015. Neben modernen Klassikern wie Anchorman (2004) und Shaun of the Dead (2004) liefen hier auch extrem umsatzstarke Komödien, beispielsweise die Hangover-Filme (2009, 2011, 2013), Ted (2012) oder Meine Frau, ihre Schwiegereltern und ich (2004). Im Jahr 2008 waren Komödien für sage und schreibe 25 Prozent der Einspielergebnisse an den US-amerikanischen Kinokassen verantwortlich. Doch seitdem schrumpft die wirtschaftliche Bedeutung kontinuierlich: So haben Comedy-Filme 2018 gerade einmal 8 Prozent an den Kinos in den USA umgesetzt. Was ist also passiert?
In diesem Beitrag beziehe ich mich übrigens auf die Situation der Komödien in den USA. In anderen Ländern, beispielsweise Deutschland, sieht die Situation für Komödien noch einmal anders aus.
Das Sterben des „mittleren" Films
Als Erstes müssen wir uns noch einmal vergegenwärtigen, dass es in der Filmindustrie immer um Geld geht: Filme müssen am Ende des Tages also immer mindestens das Geld einspielen, das sie gekostet haben und am besten noch mehr. Und Geld ist hier das entscheidende Stichwort. Ein zentraler Grund für den Schwund von Komödien ist, dass Filme in der „Mitte“ kaum mehr von großen Studios wie Universal, Paramount oder Disney finanziert werden. Denn diese drehen mittlerweile meistens nur noch zwei Arten von Filmen. Auf der einen Seite die gigantischen Blockbuster, beispielsweise aus dem Marvel-, Stars Wars- und DC-Universum. Diese Filme sind in der Regel gut kalkulierbar und ein sicheres Investment. Sie spielen fast immer die Produktionskosten ein und machen dabei oft Gewinne in Milliardenhöhe. Die zweite Art von Filmen sind die ganz kleinen Produktion, bei denen das Investmentrisiko gering bleibt und die Industrie auf einen Überraschungshit hoffen darf. Ein gutes Beispiel hierfür ist der 2022 erschienene Horrorfilm Smile, der gerade einmal 17 Millionen US-Dollar in der Produktion gekostet hat, weltweit aber bereits über 200 Millionen eingespielt hat.
Was dabei immer weniger produziert wird, sind Filme, die weniger als ein Blockbuster und mehr als ein kleine Produktion kosten – eben solche aus der Mitte. Betroffen davon sind vor allem Dramen und die besagten Komödien. Der Regisseur von Verrückt nach Mary (1998), Ed Decter, sagte in einem Interview von 2019: „[Companies like] Disney would rather spend $100 million to [market] a $200 million-plus film like Avengers and make $2 billion-plus“*. Es lohnt sich für die großen Studios also mehr, Geld in Werbung für Blockbuster zu investieren als in Filme aus der Mitte. Auch Comedy-Legende Will Ferrell (Anchorman) bemängelte 2019, wie schwer es mittlerweile sei, Komödien finanziert zu bekommen. Selbst seiner Meinung nach großartige Ideen würden abgelehnt werden. Komödien sind in der Regel also weder ein sicheres Investment für die Studios, noch kosten sie so wenig, dass das finanzielle Risiko gering bleibt. Kurzum: Sie sind ein Unsicherheitsfaktor. Das hat aber noch weitere Gründe.
Sehr geringe Produktionskosten, extrem starke Einspielergebnisse – Smile ist ein „Low-Risk-Film”, wie ihn die Filmindustrie liebt:
Die Internationalisierung des US-amerikanischen Filmmarkts und eine veränderte Gesellschaft
Ein weiterer Grund für den Schwund von Komödien in Kinos ist, dass sich der US-amerikanische Filmmarkt in den letzten Jahren immer internationaler ausgerichtet hat. Es geht – auch in Folge der Globalisierung – vermehrt darum, ein Publikum in Europa, Asien, Lateinamerika und anderen Kontinenten zu erreichen. Humor kann sehr spezifisch und speziell sein kann; dazu ist er kulturell bedingt. Wir alle kennen das Gefühl, wenn wir als Einzige oder Einziger über einen Witz lachen und alle anderen verärgert den Kopf schütteln. So ist es auch mit der Komödie. Was die US-Bevölkerung lustig findet, können Menschen in anderen Ländern als grenzüberschreitend oder verletzend empfinden. Aufgrund der Internationalisierung müssen Komödien mittlerweile jedoch den Humor all der unterschiedlichen Länder und Kulturen treffen – nicht nur den der eigenen Bevölkerung. Mein Bester & Ich (2017), das US-amerikanische Remake von Ziemlich beste Freunde (2011), hat in den USA 108 Millionen US-Dollar eingespielt – international jedoch nur 14. Das ist für eine international-orientierte Filmindustrie zu wenig. Dieses „Humor-Risiko“ wollen viele Studios heute nicht mehr eingehen.
Damit einher gehen auch gesellschaftliche Entwicklungen. Die politischen Fronten zwischen Links und Rechts verhärten sich zunehmend und das weltweit. Gesellschaftspolitische Themen wie MeToo, Black Lives Matter, Feminismus oder Klimawandel werden hitzig diskutiert und nicht selten kommt es zu Shitstorms in sozialen Netzwerken. Der Komödie immanent sind Witze, die die Grenzen einiger Menschen überschreiten oder bestimmte Personen und Personengruppen durch den Kakao ziehen. Die Gefahr von kritischen medialen Debatten und Backlashs auf Social Media ist für eine Komödie somit deutlich höher als für ein anderes Genre. Ein Film wie Superbad würde aufgrund der Darstellung von Frauen heutzutage wahrscheinlich zerfleischt und so niemals mehr veröffentlicht werden (siehe beispielsweise den Clip unten). Unter diesen Bedingungen cleveren und pointierten Humor zu schreiben, verlangt deutlich mehr Fingerspitzengefühl als früher – und selbst dann ist nicht sicher, ob es nicht doch Gegenwind gibt. All das sind für Studios zusätzliche unnötige Risiken, die sie lieber vermeiden.
Würde ein Film wie Superbad heutzutage veröffentlicht werden, würde er aufgrund der Darstellung von Frauen wohl auf deutlich mehr Widerstand als damals stoßen:
Die Etablierten verschwinden – der Nachwuchs wandert ab
Dadurch, dass Komödien über die Jahre so geschrumpft sind, verschwinden selbst etablierte Comedians von der großen Leinwand, sei es die Saturday Night Live Crew der 1990er (u.a. Will Ferrell, Mike Myers, Adam Sandler), das Frat Pack (u.a. Ben Stiller, Owen Wilson, Vince Vaughn) oder Leute wie Seth Rogen und James Franco. Sie haben schlichtweg nicht mehr die Relevanz, die sie früher hatten. Dazu wenden sich viele ehemals erfolgreiche Comedians und vor allem Comedy-Regisseure von dem Genre ab. Lieber setzen sie ernstere Projekte um: Der Hangover-Regisseur Todd Philipps hat zuletzt beispielsweise Joker (2019) gedreht und der für die Cornetto-Trilogie (Shaun of the Dead; Hot Fuzz; The World´s End) verantwortliche Edgar Wright Last Night in Soho (2021). Durch den Rückgang der Komödien verschwinden also die Etablierten, was das Problem wiederum verschärft. Ein Teufelskreis. Die maue Situation für Komödien im Kino beeinflusst natürlich auch den Comedy-Nachwuchs: Talentierte Autorinnen und Autoren sowie Schauspielerinnen und Schauspieler sehen momentan bessere Chancen im TV, wie Judd Apatow, Regisseur von Jungfrau (40), männlich, sucht…, sagt. Statt wie beispielsweise früher drei Jahre lang ein einziges Drehbuch zu schreiben, würden sie heutzutage lieber eine TV-Serie schreiben, die jahrelang läuft. Apatow führt weiter aus, dass die großen Studios derzeit lieber komplette „Pakete“ einkaufen. Also ein Drehbuch, Cast und eine Regisseurin oder einen Regisseur zugleich. Diese Pakete sind für die Studios einfacher zu vermarkten und in der Regel oft profitabler. Ein Beispiel hierfür ist die Komödie Baywatch (2017), die ein „Dwayne-Johnson-Paket“ ist, welches in der Regel immer an den Kinokassen zieht. Was darunter leidet, ist die Qualität der Drehbücher, sagt Apatow. Denn wer „nur“ ein Drehbuch schreiben kann, habe es schwer. Die Unterstützung, die es früher für junge Autorinnen und Autoren gegeben habe und die Aussicht auf eine jahrelange Zusammenarbeit mit den Studios, gebe es kaum mehr. Das schreckt den Comedy-Nachwuchs natürlich ab und ist ein weiterer Grund, sich dem TV zuzuwenden.
Die großen Studios produzieren also kaum mehr Komödien für das Kino. Wer macht sie aber dann? Die sichere Variante ist eine universale Geschichte, die international verstanden wird und seichte Witze, die nicht anecken können.
Auflösung des Genres
In der Einleitung habe ich bereits die „Blockbuster mit kleinen Gags zwischendurch“ erwähnt. Tatsächlich ist auch das ein wichtiger Faktor: Humor wird immer stärker in die großen Blockbuster eingepflegt. Beispielsweise sind die neuen Star Wars- und Marvel-Filme durchaus komödiantisch – mehr zumindest als die früheren Produktionen der Franchises. Die Zuschauerinnen und Zuschauer bekommen in solchen Filmen neben dem gigantischen Blockbuster-Spektakel immer auch ein bisschen Comedy mitgeliefert – und das reicht vielen Menschen. Wieso also noch eine eigenständige Komödie produzieren, wenn der Blockbuster die Leute zum Lachen bringt? Komödien sind heutzutage also gar nicht mehr unbedingt notwendig. Sie werden in andere Genres eingeflochten, lösen sich dafür aber als eigenständiges Genre zunehmend auf.
Netflix und Co. als Auffangbecken für Komödien
Ganz verschwunden sind Komödien aber natürlich nicht – das wird vor allem denjenigen auffallen, die Netflix abonniert haben. Der Streaming-Dienst ist eine Komödienhochburg, was auch die Zahlen zeigen. Das Genre „Komödie/Satire“ ist nach „Action/Abenteuer“ und „Krimi/Thriller“ das drittbeliebteste. 29,8 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer haben 2020 Komödien und Satiren auf Netflix gestreamt, heruntergeladen oder gekauft. Jüngste populäre Beispiele sind Don´t look Up (2021) oder Red Notice (2021). Dazu bietet Netflix eine Reihe an Stand-Up-Programmen beliebter Comedians (z.B. Dave Chappelle, Sarah Silverman, Bill Burr) sowie klassische Comedyserien (Friends).
Das Comedy-Loch, das in den vergangenen Jahren von den großen Studios verursacht worden ist, hat also dazu geführt, dass Komödien auf Netflix – und mittlerweile auch auf andere Streaming-Anbieter – outgesourced worden sind. Netflix und Co. sind ein Auffangbecken für Komödien geworden. Und genau hier liegt ein weiterer Grund, warum so wenige Komödien im Kino laufen: Die Zuschauerinnen und Zuschauer wurden in den vergangenen Jahren daran gewöhnt, Komödien auf kleinen Bildschirmen zu sehen. Lieber schauen sich die Menschen eine Komödie gemütlich zuhause von der Couch aus an, statt dafür ins Kino zu gehen. Dort sieht sich das Publikum lieber die Filme an, die sich auf der großen Leinwand auch „lohnen“ – Stichwort Blockbuster. Dadurch sinkt natürlich die grundsätzliche Bereitschaft, für eine Komödie ins Kino zu gehen. Das führt zur entscheidenden Frage:
Brauchen wir überhaupt noch Komödien im Kino?
Eine von gefühlt drölfzigtausend Komödien auf Netflix – der kürzlich erschienene Film ME TIME:
Schlussplädoyer: Warum wir Komödien im Kino brauchen
Halten wir kurz fest: Komödien verschwinden aus den Kinos, weil sie zu den „mittleren“ Filmen gehören, für die die großen Studios kaum mehr bereit sind, Geld zu investieren. Erschwerend für Komödien kommt die internationale Ausrichtung des US-amerikanischen Filmmarkts hinzu, genauso gesellschaftliche Entwicklungen. Das beeinflusst sowohl die etablierten Comedians, die nicht mehr so gefragt sind wie früher oder sich vom Genre abwenden, ebenso den Nachwuchs, der sich aufgrund der besseren Zukunftschancen vermehrt TV-Produktionen zuwendet. Ganz verschwunden sind Komödien jedoch nicht. So wird Humor immer häufiger in andere Filme – vorzugsweise Blockbuster – eingepflegt, oder auf Streaming-Anbieter wie Netflix outgesourced. Letzteres hat zur Folge, dass sich das Publikum daran gewöhnt, Komödien auf kleinen Screens von zuhause aus zu gucken, was sich natürlich ebenfalls negativ auf Komödien in Kinos auswirkt.
Für mich gibt es eine Mischung, die besonders toxisch ist: Die Auflösung des „mittleren“ Films in Kombination mit der „Small-Screen-Sozialisation“. Wir scheinen uns anzugewöhnen, weniger spektakuläre Filme zuhause und die Highlights im Kino zu sehen. Bei einem durchschnittlichen Kinopreis von 8,87 Euro in Deutschland ist es ehrlicherweise auch nicht verwunderlich, wenn das Publikum einen „lohnenswerten“ Film sehen möchte. Auch ich erwische mich häufig, wenn ich bei einem Kinorelease sage: „Gucke ich, wenn er im Stream kommt“. Das Problem daran ist aber: Wenn wir uns jetzt daran gewöhnen, weniger imposante Filme nur noch zu streamen, verbannen wir damit zukünftig ganze Genres von der großen Leinwand. Denn was kommt nach der Komödie? Thriller? Abenteuerfilme? Horrorfilme? Irgendwann würde diese Entwicklung dazu führen, dass im Kino praktisch nur noch Blockbuster laufen und der Rest bei den Streaming-Anbietern. Und wie sehr diese das Angebot verwässern, können wir schon jetzt beobachten: Unter den gefühlt tausenden Komödien bei den Streaming-Anbietern ist es extrem schwer, die wirklich guten – eben die, die damals im Kino liefen – herauszufiltern.
Wir müssen ja nicht jeden Film, der im Kino erscheint, mitnehmen. Aber zwischen all den Blockbustern darf es auch gerne mal etwas Solides sein. Zum Beispiel eine Komödie.
*Zitat von Ed Decter: The Hollywood Reporter (2019): Late Night´ and the Decline of Comedy at the Box Office: Is Netflix Really to Blame?, [online] https://www.hollywoodreporter.com/news/general-news/comedy-box-office-dwindles-but-is-netflix-blame-1219121/ [20.11.2022].