Bald erscheint Mission: Impossible 7 Dead Reckoning Teil eins (Christopher McQuarrie) mit Ethan Hunt (Tom Cruise). Ein wunderbarer Anlass, um über Heists in Filmen zu sprechen. Denn im ersten Mission: Impossible (Brian de Palma) gibt es eine der legendärsten Heist Szenen aller Zeiten: Wenn sich Ethan Hunt über einen Lüftungsschacht abseilen lässt, Tom Cruise schwitzt und fällt und es irgendwie schafft, den wertvollen Datenträger zu stehlen. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich ein ganzes Genre hierzu herausgebildet – das der „Heist Movies“. Hier steht der Heist, bzw. der Raub im Zentrum des Films. Weitere Beispiele neben Mission: Impossible ist Ocean´s Eleven (Steven Soderbergh), in welchem Danny Ocean (George Clooney) und seine Crew im Laufe des Films den Tresor eines Casinos ausrauben oder Reservoir Dogs (Quentin Tarantino), der die Geschichte eines misslungenen Raubüberfalls erzählt.
So großartig die Heist Szenen in den genannten Filmen auch sind – die beste Heist Szene aller Zeiten ist in einem anderen Film zu finden: Rififi. Der französische Klassiker aus dem Jahr 1955 dient noch heute als Vorlage und Inspiration für zahlreiche Heist Movies und gilt als Klassiker und Vorreiter des Genres. Regie führte damals der Franzose Jules Dassin. Nicht nur um die Heist Szene selbst, sondern auch um den Regisseur und die Entstehung des Films ranken sich zahlreiche, spektakuläre Geschichten. Eine Pistole, eine Schwarze Liste, Glücksspiel, eine ängstliche Polizei und deutsche Politiker – was sich anhört wie ein schlechter B-Movie ist die Geschichte von Rififi und seiner Heist Szene.
Was ist "Rififi"?
Einige von euch haben den Namen sicherlich schon einmal gehört: „Rififi“. Im Duden heißt es dazu: „Ein ausgeklügeltes, in aller Heimlichkeit durchgeführtes Verbrechen“*. In Zeitungen lesen wir manchmal Schlagzeilen, die sinngemäß lauten: „Rififi in Stadt XY“. Damit sind genau solche Verbrechen wie der Duden sie beschreibt gemeint. Falls ihr euch gerade fragt, ob das Wort ernsthaft von dem gleichnamigen Film herrührt: Ja, das tut es. Und wenn eine Heist Szene so gut ist, dass der Name des Films im alltäglichen Sprachgebrauch verwendet wird, dann muss sie wirklich gut sein.
Bevor wir uns die Szene ansehen, müssen wir noch kurz über den Inhalt des Films sprechen. In Rififi geht es um den „sanften Tony“ (Jean Servais), der 5 Jahre lang im Knast war und nun wieder auf freiem Fuß ist. Kaum draußen, kommt sein Kumpel Jo (Carl Möhner) auf ihn zu, mit dem Plan, die Schaufensterauslage eines Pariser Juweliers auszurauben. Tony lehnt das Angebot zunächst ab, doch als er sieht, dass sich sein Leben gänzlich verändert hat und seine ehemalige Liebe Mado (Marie Sabouret) mittlerweile mit dem heimtückischen Nachtclubbesitzer Grutter (Marcel Lupovici) geht, überlegt er sich die Sache anders. Er will den Raub nun doch durchziehen – nur die Schaufensterauslage zu plündern, reicht ihm jedoch nicht. Tony will ein richtig dickes Ding drehen: Er will den ganzen Tresor des Juweliers ausrauben…
Warum die Heist Szene in Rififi so gut ist
Tony trommelt seine Crew also zusammen und dann beginnt sie, die beste Heist Szene aller Zeiten. Die Gangster schleichen sich nachts in das Appartement über dem Juwelier. Von hier aus wollen sie über ein Loch in der Decke in das Geschäft und schließlich an den Tresor gelangen. Sage und schreibe circa eine halbe Stunde der insgesamt knapp zwei Stunden Laufzeit dauert die Szene an. Das Besondere ist, dass Dassin sowohl die Dialoge als auch die Musik weglässt. Alles ist ruhig. Dadurch baut sich im Laufe der Szene eine wahnsinnige Spannung auf: Wir hören die Männer schwer atmen, sehen sie schwitzen, sehen, wie sie sich gegenseitig Zeichen geben, erkennen ihre nervösen Blicke. Als zufällig eine Klaviertaste losgeht, bleibt einem beinahe das Herz stehen. Das Faszinierende dabei ist, dass die Männer zwar wie Profis wirken, wir ihre Anspannung aber regelrecht fühlen. Als Zuschauerin und Zuschauer bekommt man das Gefühl, Personen wie du und ich zu sehen. Dadurch wirkt diese Szene so unglaublich realistisch, bodenständig und nahbar. Dabei kommen im Laufe des Heists unterschiedlichste Werkzeuge und Instrumente zum Einsatz, die die Gangster auf filigranste Weise nutzen; unter enormen Zeitdruck arbeiten sie mit einem Seil, einem Regenschirm oder einem Schaum-Feuerlöscher. Auf kreative Art inszeniert Dassin die einzelnen Schritte, die die Gangster nach und nach näher an den Tresor und dessen Inhalt bringen, wobei der Regisseur es permanent schafft, die Spannung aufrechtzuerhalten – immer wieder wird die Uhrzeit gecheckt und wir sehen dann auch, wie sich langsam das morgendliche Leben in Paris regt…
Im Vergleich zu den meisten modernen Heist-Filmen, in denen die Gangster maskiert, mit Kalaschnikows bewaffnet und laut um sich brüllend eine Bank ausrauben, hat Dassin hier den komplett gegenteiligen Ansatz gewählt: Der Regisseur wollte eine möglichst realistische Heist-Szene, die den Zuschauerinnen und Zuschauern zeigt, dass es sich bei den Tätern um Gangster handelt, die hochprofessionell sind. Und wer so professionell ist, der macht seinen Job lautlos und ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen. Dassin beschreibt den Gedankengang der Gangster so: „Noises are enemys“ (Zitat aus Video unten). Die Produzenten des Films waren von Dassins „extremer“ Herangehensweise, eine halbe Stunde lang weder Dialoge noch Musik zu verwenden, übrigens nicht sonderlich begeistert – sie hielten sie für eine Katastrophe. Der für die Musik des Films zuständige Georges Auric wollte Dassin für die Szene deswegen einen gigantischen Soundtrack komponieren – um ihn zu schützen, wie er sagte. Auric komponierte Dassin also einen Soundtrack und anschließend schauten die Beiden sich die Szene zweimal an: Einmal mit und einmal ohne Musik. Es war Auric der schließlich sagte: „No music“ (Zitat aus dem Video unten). Am Ende setzte Dassin sich glücklicherweise durch (siehe zu dem Abschnitt auch das Video).
Hollywoods Schwarze Liste, eine Pistole und die Glückszahl 18
Apropos Dassin. Zu dem Regisseur von Rififi gibt es eine tragikomische Geschichte. Der Franzose war in den 1940er Jahren ein durchaus anerkannter Regisseur, der eine Reihe bekannter Noir-Filme gedreht hatte, wie Zelle R17, Die nackte Stadt oder Gefahr in Frisco. Während der antikommunistischen Bewegung im Zuge der McCarthy-Ära in den 1940er und 50er Jahren wurde Dassin als ehemaliges Mitglied der „Communist Party USA“ ins Visier genommen und auf Hollywoods Schwarze Liste gepackt. Die Folge war, dass Dassin den Film Die Ratte von Soho aus dem Jahr 1950 auf Anweisung seines damaligen Studios 20th Century Fox außerhalb der USA, in London, drehen musste. Dassin konnte den Schnitt des Films damit nicht mehr selbst übernehmen, da er nicht auf das Studiogelände in Hollywood kam. Einige Zeit später wurde er schließlich vom „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ offiziell als ehemaliges Mitglied der Kommunistischen Partei identifiziert. Die Folge war, dass Dassin in den USA zwei Jahre lang keine Arbeit mehr fand.
Als geschasster Mann ging Dassin schließlich nach Frankreich, wo er weitere 5 Jahre keinen Film drehte, da die USA weiter Druck auf die europäischen Produzenten ausübte, Dassin keinen Film machen zu lassen. 1955 eröffnete sich für Dassin schließlich doch eine Chance, nämlich die, Rififi zu drehen. Der Film bekam gerade einmal 200.000 US-Dollar Budget. Deswegen sind die Schauspielerinnen und Schauspieler vor allem unerfahrene gewesen oder solche, die den Job aufgrund ihrer Armut brauchten – dazu gehörte auch Jean Servais, der die Hauptfigur „Tony“ spielte, und dessen Karriere aufgrund seiner Alkoholprobleme auf dem absteigenden Ast war. Dassin selbst spielt übrigens auch in dem Film mit: Er ist der Tresorknacker César.
Auch Dassin hatte große Geldnöte und brauchte die Arbeit, ansonsten hätte er den Film wohl nie gemacht. Rififi basiert nämlich auf der Geschichte des französischen Autors Auguste Le Breton, wobei Dassin nicht sonderlich viel von der Buchvorlage hielt. Er war regelrecht schockiert als er das Werk das erste Mal gelesen hatte – er hasste den seiner Meinung dort vorherrschenden Rassismus; auch ging es um Themen wie Nekrophilie, bei denen Dassin nicht wusste, wie er sie darstellen sollte. Der Regisseur erkannte jedoch das Potenzial der Heist Szene im Buch, die hier nur wenige Seiten lang ist. Dassin nahm die Szene und stellte sie in den Mittelpunkt seines Films. Der französische Regisseur François Truffaut (Sie küssten und sie schlugen ihn / Jules und Jim) sagte sinngemäß, Rififi sei der beste Kriminalfilm, den er je gesehen habe, der auf der schlechtesten Novelle basiere, die er je gelesen habe.
Nachdem Dassin den Raub so stark ins Zentrum des Films gerückt hatte, soll Le Breton auf den Regisseur zugekommen sein und ihn gefragt haben, wo sein Buch sei. Dassin erklärte ihm die Situation, woraufhin Le Breton die Frage wiederholte – und als Drohung eine Pistole vor sich auf den Tisch legte. Dassin fand das wohl so lächerlich, dass er anfangen musste zu lachen. Schließlich mussten beide über diese groteske Situation lachen. Die beiden sollen bis auf diese Meinungsverschiedenheit aber gut miteinander ausgekommen sein. Enden tun die bizarren Geschichten um Rififi hier nicht. Der Film war letztendlich ein großer Erfolg und Dassin gewann bei den „Cannes Filmfestspielen“ 1955 den Regiepreis. In diesem Rahmen soll Dassin, der zu dem Zeitpunkt immer noch sehr arm war, bei einem Casinoaufenthalt einen der Produzenten um Geld zum Spielen gefragt haben. Er bat den Produzenten, ihm das Datum des Drehbeginns von Rififi zu nennen, woraufhin der Produzent ihm den 18. nannte. Dassin setzte das ganze geliehene Geld dann auf die 18 – und gewann. Mit dem gewonnen Geld konnte er dann nach eigenen Aussagen eine Zeit lang seine Familie versorgen.
Aufschrei in Deutschland
Kommen wir noch einmal zurück zu der Heist Szene. Nach Veröffentlichung des Films schlug diese hohe Wellen. Die Pariser Polizei hatte Angst, dass der Raub zu Nachahmerinnen und Nachahmern führen könnte. In einigen Ländern verbannte man den Film sogar, unter anderem in Mexiko, wo das Innenministerium den Film stoppte, nachdem es eine Reihe an Einbrüchen gegeben hatte, die dem Raub in Rififi nachempfunden waren. In Deutschland wurde der Film zunächst vom FSK freigegeben und von vielen gefeiert. Doch einige Zeit später, im Jahr 1956, wurde in einigen deutschen Zeitungen eine Debatte losgetreten. Die Blätter kreideten dem Film an, eine Einbruchswelle losgetreten zu haben. Auch in der Politik wurde der Film heiß diskutiert, unter anderem im Bayrischen Landtag. Der „Fall“ Rififi kursierte schließlich monatelang in der Presse. Der evangelische Filmbeauftragte Werner Hess sprach beim Bayrischen Rundfunk davon, dass man nun endlich den Beweis dafür habe, dass Verbrecherfilme Vorbildfilme seien und diese in Zukunft verboten werden müssten. Die Diskussionen erinnern stark an die „Killerspiel“-Debatte, die es vor einigen Jahren in Deutschland gab und die es heute leider immer noch gibt. Zum Glück wurde der Film hierzulande nie zensiert oder verboten.
Rififi - ein großartiger Film
Rififi war weltweit ein voller Erfolg, auch in den USA. So kam es, dass Dassin als erster überhaupt Hollywoods Schwarze Liste durchbrach – ein kleines Happy End sozusagen. Rififi ist übrigens nicht nur wegen der Heist Szene ein großartiger Film. Eine Besonderheit ist nämlich, dass die Heist Szene in der Mitte der Geschichte passiert und nicht wie häufig zu sehen der Höhepunkt des Films ist. Nachdem Tony und seine Bande also die Juwelen gestohlen haben, geht alles drunter und drüber und nichts läuft mehr nach Plan. Im Laufe des Films verarbeitet Dassin auf cineastisch wunderbare Weise verschiedenste Themen; es geht um Männlichkeit, Außenseiterdasein und Gewalt. Wer Rififi also noch nicht kennt, der sollte ihn auf jeden Fall nachholen.
Genre: Krimi/Film Noir | FSK: 12 | Laufzeit: 112 Minuten | umsonst auf Amazon
*Zitat aus dem Duden:
Duden (o.J.): Rififi, [online] https://www.duden.de/rechtschreibung/Rififi [17.01.2023].