In den vergangenen Wochen und Monaten habe ich zahlreiche Filme gesehen, unter anderem Jordan Peeles neuesten Film Nope, auf den ich mich sehr gefreut habe, aber auch einen alten Klassiker (Zeugin der Anklage) und andere Nachholfilme (Blue Ruin, The Card Counter, The Green Knight). Viel Spaß bei der kleinen, aber feinen Auswahl.
1. Nope (2022)
Die Geschwister OJ (Daniel Kaluuya) und Emerald Haywood (Keke Palmer) übernehmen die Ranch ihres Vaters, nachdem dieser auf seltsame Weise ums Leben gekommen ist. Auf der Ranch der Familie werden seit Generationen Pferde für Filmproduktionen ausgebildet, das Geschäft läuft mittlerweile jedoch nicht mehr sonderlich gut. Eines Tages meint OJ, über dem Himmel der Ranch ein Ufo ausgemacht zu haben. Das Geschwisterpaar beschließt, das mysteriöse Flugobjekt mit der Kamera einzufangen, um so an Geld zu kommen…
Der neue Film von Regisseur Jordan Peele, spielt mit den Konventionen des Films. Er verändert sie, überrascht, ist skurril und einfach anders. Hervorheben möchte ich die bezaubernde Kameraarbeit und die Schauspielerinnen und Schauspieler, allen voran Daniel Kaluuya, der aus der so teilnahmslosen Figur OJ mit seiner Mimik extrem viel rausholt. Grundsätzlich ist mir ein unkonventioneller Film wie Nope lieber als die generische und durchschnittliche Kost, die wir heute leider so vielfach zu sehen bekommen. Dadurch eckt Nope aber eben auch an. Dieses „Anecken“ hat bei mir leider nicht funktioniert. Nope kann sich nicht entscheiden, was er sein möchte: Er ist Western, Thriller, Drama, Science Fiction und Horror zugleich. Dieser Genre-Mix ist grundsätzlich nicht verkehrt und kann auch richtig erfrischend sein. Dann aber müssen die Genres ausgefeilt bedient werden und muss die Kombination passen. An dieser Stelle jedoch scheitert Nope. Der Horror ist zu lasch und schockt einen überhaupt nicht, die Science Fiction bauscht sich lange auf, verpufft dann aber in der Enthüllung des Flugobjekts; ein Western ist der Film auch nicht, nur weil es hier eine Ranch, Pferde und Cowboyhüte gibt. Leider sehen wir von allem immer etwas zu wenig, sodass sich nichts so wirklich entfalten kann. Zu dem merkwürdigen Genre-Mix kommt eine Überfülle an Ideen, Eindrücken, Momenten, die kaum zusammenpassen. Nope ist ein regelrechter „Jordan Peele Overkill“, bei dem es so wirkt, als hätte der Regisseur versucht, alle seine Gedanken in ein einziges Drehbuch zu quetschen. Der neue Film von Jordan Peele kann also nicht an die großartigen Vorgängerfilme Get Out (2017) und Wir (2019) anknüpfen. Trotzdem glaube ich, dass vielen die ungewöhnliche Machart gefallen wird.
Bewertung
Genre: SciFi/Horror/Western| FSK: 12 | Laufzeit: 130 Minuten | zum Leihen u.a. auf Amazon und Apple
2. Blue Ruin (2013)
Dwight Evans (Macon Blair) ist ein Obdachloser, der am Rande der Gesellschaft lebt und sich so durchs Leben schlägt. Wenn er nicht in fremde Wohnungen einbricht, um dort zu schlafen und ein Bad zu nehmen, verbringt er seine Zeit am liebsten in seiner rostigen Schrottkarre. Bevor Dwight so geworden ist, hat er ein wunschlos glückliches Leben geführt – doch dann sind seine Eltern ermordet worden. Als eine Polizistin ihm erzählt, dass der Mörder seiner Eltern aus dem Gefängnis entlassen wird, beschließt Dwight kurzerhand, Rache zu üben. Er will den Mörder aufsuchen, um ihn um jeden Preis zu töten.
Der Indie-Film Blue Ruin ist ein Geniestreich. Der US-amerikanische Regisseur Jeremy Saulnier schafft es mit gerade einmal 420.000 US-Dollar Budget, dieser so vielfach erzählten Rache-Story einen ganz eigenen Drive zu geben. Zunächst ist Blue Ruin trotz seiner Thematik wunderbar bodenständig, ruhig und nahbar – großes Machogehabe und laute Explosionen gibt es hier nicht. Dafür gibt es einen großartigen Hauptcharakter, der den Film von selbst trägt. Das liegt zum einen am starken Schauspiel von Macon Blair, der es durchgehend schafft, die Zerrissenheit zwischen Moral und Rache der Figur durch seine Mimik und Gestik darzustellen. Zum anderen ist Dwight gewitzt, einfallsreich und irgendwo schrullig. Es bringt Spaß ihm dabei zuzuschauen, wie er sich von einer in die nächste brenzlige Situation hineinmanövriert und dann zu rätseln, wie er dort wieder herauskommt. Erinnert hat mich Dwights seltsames Geschick an Walter White in Breaking Bad. Am meisten Spaß bringt es jedoch festzustellen, wie man für Dwight im Laufe des Films jegliches Gefühl von Sympathie verliert: Ertappt man sich anfangs noch dabei, die Gedanken und Handlungen des Protagonisten zumindest ein bisschen nachempfinden zu können, verliert man das Verständnis für das, was Dwight tut, irgendwann vollständig. Immer mehr gerät Dwight in eine Abwärtsspirale aus Gewalt und viel schlimmer: Er zieht auch Unbeteiligte mit in seinen Rachedurst hinein. Am Ende ist er das, was er anfangs gejagt hat: Ein eiskalter Killer. Blue Ruin zeigt auf wunderbar schonungslose und simple Weise und vor allem mit aller Konsequenz, worin Gewalt mündet: In noch mehr Gewalt.
Bewertung
Genre: Thriller | FSK: 16| Laufzeit: 94 Minuten | umsonst bei Joyn, zum Leihen u.a. auf Amazon
3. Zeugin der Anklage (1957)
Der grummelige Sir Wilfried Robarts (Charles Laughton) ist einer der berüchtigtsten Strafverteidiger Londons. Nach Genesung einer Herzattacke kehrt er in sein Büro zurück und bekommt gleich einen neuen kniffligen Fall vorgesetzt: Leonard Vole (Tyrone Power) wird beschuldigt, eine reiche Witwe getötet zu haben, die ihn als ihren Haupterben angibt. Sein einziges Alibi ist seine mysteriöse Ehefrau Christine (Marlene Dietrich). Es braucht nicht lange, bis Robarts sich des Falls annimmt. Während des Gerichtsprozesses kommt es immer wieder zu überraschenden Wendungen, die selbst für den erfahrenen Anwalt eine Herausforderung sind.
Zeugin der Anklage ist schlichtweg einer der besten Kriminal-/Anwaltsfilme aller Zeiten. Ein paar spannende Charaktere und ein Gerichtssaal – mehr braucht Regisseur Billy Wilder nicht, um einen bis zum Ende packenden Kriminalfall zu erzählen. Gefilmt wird zumeist in Innenräumen, zu Beginn häufig in Robarts Büro und später im Gerichtssaal, wobei die Kamera hier durchgehend nah an den Charakteren und ihren Gesichtern ist. Durch diese kammerspielartige Atmosphäre bekommt der Filme eine extreme Intensität. Gepaart wird das mit großartigen Schauspielerinnen und Schauspielern, allen voran Charles Laughton als Strafverteidiger Robarts und Marlene Dietrich als undurchsichtige Ehefrau. Auch ist Zeugin der Anklage mit einer guten Prise britischem Humor gewürzt. Die Nickligkeiten zwischen Robarts, der trotz Herzattacke weiter Zigarre rauchen, Whisky trinkt und bis zum Umfallen arbeiten will, und seiner Assistentin Miss Plimsoll (Elsa Lanchester), die genau das verhindern will, sind wirklich drollig. Die große Stärke des Films liegt jedoch in der Erzählkunst von Billy Wilder. Wie in fast jedem seiner Filme schafft er es auch hier, den Film mit einer ungeheuren Leichtigkeit zu inszenieren. Scheinbar bedeutungslose Handlungen, Sätze und Gegenstände fügt er nacheinander zu einem großen Ganzen zusammen und lässt all das in einem phänomenalen Ende mit mehreren Twists münden, die ich – trotz viel Kriminalfilmerfahrung – nie im Leben erahnt hätte. Zeugin der Anklage ist ein Kriminalfilm, wie ich ihn liebe: Geradeaus und ohne viel Schnickschnack. Einfach, schlicht, genial.
Bewertung
Genre: Kriminalfilm | FSK: 12 | Laufzeit: 113 Minuten | zum Kaufen u.a. auf Amazon und Apple TV
4. The Card Counter (2021)
Der ehemalige Soldat William Tell (Oscar Isaac) saß zehn Jahre lang im Gefängnis, weil er im Krieg Menschen gefoltert hat. Während er einsaß, sind seine Vorgesetzten – vor allem Major John Gordo (Willem Dafoe) – ungeschoren davon gekommen. Im Gefängnis hat Tell das Kartenzählen perfektioniert, welches er nun auch in Freiheit praktiziert: Er reist von Casino zu Casino, setzt niedrig, um nicht aufzufallen, und gewinnt so. Die Routine dient Tell aber eigentlich nur dazu, seine inneren Triebe in Schach zu halten. Als er auf Cirk (Tye Sheridan) und La Linda (Tiffany Haddish) trifft, ändert sich sein so routiniertes Leben schlagartig.
Zunächst startet The Card Counter von Regisseur Paul Schrader richtig gut, denn die Figur des Willam Tell ist mysteriös, düster und irgendwie durchgeknallt. Eine Macke von Tell ist beispielsweise, dass er alle Gegenstände in seinem Hotelzimmer in weiße Stofftücher einwickelt – oftmals sitzt er dann alleine an einem Tisch und schreibt Wörter in sein Buch, die von einer Off-Stimme wiedergegeben werden. Dazu kommen immer wieder kleine Rückblenden aus Tells Folter-Vergangenheit, in der wir sehen, wir er seinen „Job“ macht, wobei hier mit einer originellen Kamera gespielt wird. All das ist skurril und bringt ziemlich viel Spaß zu sehen. Leider nutzt sich diese „düstere Abgedrehtheit“ im Laufe des Films immer mehr ab und nervt schließlich nur noch. Das liegt insbesondere an der hauchdünnen Geschichte: Tell wandert eigentlich nur von einem Casino zum nächsten, spielt ein bisschen Poker und erlebt nebenher ein paar persönliche Dramen. Die größte Zeit dümpelt The Card Counter ziellos vor sich hin. Mit jeder Minute wird der Film anstrengender und aus dem spannenden Tell wird ein grimmiger, mürrischer, nervtötender Typ. Noch anstrengender ist, dass sich The Card Counter dabei so unfassbar ernst nimmt, wodurch der Film wahnsinnig affektiert wirkt. Man fragt sich irgendwann: Was will dieser Film eigentlich? Tatsächlich endet The Card Counter dann auch ziemlich enttäuschend, dafür, dass er sich vorher so aufgebauscht hat. The Card Counter hat einen guten Start, verkorkst diesen aber vollkommen, weil Schrader zu sehr in sich und sein Kunstgehabe verliebt ist. Schade.
Bewertung
Genre: Thriller | FSK: 16 | Laufzeit: 112 Minuten | umsonst bei Amazon Prime
5. The Green Knight (2021)
Sir Gawin (Dev Patel), Neffe von König Artus, ist ein junger Mann, der sich beweisen möchte. Am Weihnachtsabend macht sich Gawin zum Thronsaal auf, wo er zunächst an den Feierlichkeiten teilnimmt. Dann platzt plötzlich ein grüner Ritter (Ralph Ineson) – halb Mensch, halb Baum – in den Saal, und macht der Runde einen herausfordernden Vorschlag: Wer möchte, darf gegen ihn einen Schlag führen. Die einzige Bedingung: Wenn der grüne Ritter überlebt, muss der Mann, der den Schlag geführt hat, genau ein Jahr später zur grünen Kapelle kommen, wo der grüne Ritter dann seinerseits einen Schlag gegen den Mann führen darf. Sir Gawin nimmt sich der Herausforderung an – und scheitert. Ein Jahr später macht sich der junge Ritter dann zur grünen Kapelle auf, um sein Versprechen einzulösen.
The Green Knight ist ein Film, der stark nachreift und den ich, je mehr Zeit verstreicht, immer besser finde. Einerseits ist der Film von Regisseur David Lowery sehr langatmig und schwermütig. Die Erzählweise ist extrem langsam und manchmal hat mich der Film einfach nur gelangweilt. Das liegt vor allem an der Verliebtheit Lowerys in seine eigenen Bilder, die er teilweise viel zu lange stehen lässt. Nicht selten sehen wir minutenlange Szenen, in denen Gawin eigentlich nichts tut; einfach nur geht oder reitet. Manchmal hätte es hier wohl gut getan, mehr Wert auf den Fortgang der Geschichte zu legen. Diese ist so simpel, wie sie klingt: Gawin ist unterwegs zur grünen Kapelle. Dabei kommt der Protagonist immer wieder vom Weg ab, wobei er viele kleine Abenteuer erlebt, die nett anzusehen sind, jedoch das Gefühl erzeugen, dass es nicht vorangeht. Doch genau das gefällt mir im Nachhinein besonders. Die episodenhafte Erzählung bei The Green Knight kommt so anders daher als die sonst meist linearen, durchgetakteten Geschichten. Auch die Abenteuer selbst sind voller Mystik, Fantasie und Düsternis. Die größte Stärke des Films ist jedoch die einzigartige Atmosphäre. Auch wenn es Lowery wie gesagt manchmal mit den Bildern übertreibt, gibt es oft genug Einstellungen, die fantastisch aussehen. Vor allem Videospielfans dürften diese gefallen: Die Welt in The Green Knight erinnert an eine Mischung aus The Witcher 3, Shadow of the Colossus und Elden Ring. Wir haben kräftige Farben, grün, gelb, blau, rot; gleichzeitig eine verlassene, düstere und triste Landschaft; friedvolle, aber auch bedrohliche und mysteriöse Kreaturen. Diese Kombination hat etwas Magisches, das ich so noch nie gesehen habe. Wer bei The Green Knight eine spannende Fantasy-/Mittelalter-Geschichte mit komplexen Charakteren erwartet, der wird enttäuscht werden – wer über das hinwegsehen kann, etwas Geduld mitbringt und in eine einzigartige Welt eintauchen möchte, der sollte sich den Film unbedingt ansehen.
Bewertung
Genre: Fantasy-Drama | FSK: 16 | Laufzeit: 113 Minuten | umsonst bei Amazon Prime