Nach sieben Jahren Drehpause kehrt der Body-Horror-Meister David Cronenberg mit Crimes of the Future zurück. Einiges hat sich im verrückten Cronenberg-Gehirn aufgestaut. Von Anfang an liefert uns der Regisseur mit Crimes of the Future einen Clusterfuck an durchgeknallten Cronenberg-Ideen, das zwar durchaus unterhaltsam ist, aber leider zusehends verpufft…
Plot
In der Zukunft sind nur noch wenige Menschen in der Lage, echte Schmerzen zu empfinden. Einige der Menschen können auch Organe mit neuen Funktionen in ihren Körpern wachsen lassen. Dazu gehört Saul Tenser (Viggo Mortensen), der seine Organe in Beisein seiner Assistentin Caprice (Lea Séydoux) in einer Kunstshow vor Live-Publikum entfernen lässt. Die Organ-Registrierungsbehörde sowie eine okkult anmutende Untergrundorganisation nehmen Sauls Show schließlich ins Visier. Der Performancekünstler beschließt, eine noch nie dagewesene Show vorzubereiten…
Kritik
Körper, Organe und Co.
Wenn man Cronenbergs neusten Film eines nicht vorwerfen kann, dann fehlende Originalität: Ein kleiner Junge, der einen Plastikmülleimer frisst wie Esspapier oder ein halbnackter, tanzender Mann mit zugenähten Augen und zugenähtem Mund, dafür mit massenhaft angenähten Ohren, sind hier ganz normal. Dabei bleibt sich der Regisseur treu, denn auch in Crimes of the Future geht es wie schon in so vielen anderen Filmen Cronenbergs (Die Fliege, 1986 / Die Unzertrennlichen, 1988) viel um Körper. Diese werden zumeist aufgeschnitten und zugenäht. Als Zuschauerin und Zuschauer sollte man deswegen keine schwachen Nerven haben. Die Kamera hält bei den Aufschneide-Exzessen gnadenlos drauf: Wir sehen Gedärme, Blut, Ekel.
Die Welt in Crimes of the Future ist eine atmosphärische Dystopie, in der sich Menschen neue Organe wachsen lassen können, Schmerz als sexuelle Erregung empfinden oder sich auf die Suche nach einem neuen Verdauungssystem begeben. Im Laufe des Films arbeitet sich Cronenberg dabei an etlichen Themen ab – am Körperkult der Menschen, den Auswüchsen des Kapitalismus oder dem Kunstbusiness. Untermalt wird die Welt durch ein beeindruckendes Szenenbild, wobei insbesondere die bizarren biochemischen Apparaturen wie dem „Sark“, eine Art Operationstisch, hervorstechen. Auch der Soundtrack von Howard Shore (Der Herr der Ringe) passt zu der intensiven Stimmung des Films. Crimes of the Future ist auch immer dann am besten, wenn er uns die Auswüchse ebenjener Welt zeigt: In einer Szene liegt der Performancekünstler Saul in dem Sark; lässt sich von seiner Partnerin Caprice den Körper aufschneiden und ein neu gewachsenes Organ entnehmen, was ihn sexuell erregt. Ein fasziniertes Livepublikum schaut ihnen dabei zu. Holy fuck.
„Gehe zum Arzt und sprich mit ihm über einen Kunstwettbewerb."
Auch wenn es viel um Organe geht: Organisch ist Crimes of the Future nicht. Leider werden die interessanten Themen und Ideen nicht zu einem großen Ganzen zusammengefügt – oder zusammengenäht, wie Cronenberg vielleicht sagen würde. Die Geschichte um Saul Tenser ist langweilig, auch wenn Viggo Morstensen das Beste aus seinem Charakter herausholt. Zu 80 Prozent des Films geht Tenser umher, trifft sich mit anderen Menschen und redet mit ihnen über Belanglosigkeiten. Stellenweise hat mich die Story an die Questreihe eines Ubisoft Spiels erinnert: „Gehe zum Arzt und sprich mit ihm über einen Kunstwettbewerb.“
Cronenberg verrennt sich in teils unwichtigen und uninteressanten Nebenschauplätzen, wovon viele hätten ersatzlos gestrichen werden können. Bei manchen Charakteren fragt man sich, warum sie überhaupt da sind. Wiederum andere nerven einfach nur. Etwa Kristen Stewart als die Bürokratin Timlin von der Organ-Registrierungsbehörde, die mysteriös und durchgeknallt wirken soll, aber eigentlich nur anstrengend ist und hektisch daher palavert. Allgemein wird in Crimes of the Future viel zu viel geredet. Cronenberg lässt einfach zu viele Szenen zu lange stehen. Wir sehen teils endlos lange Dialoge, die kaum etwas hergeben; hier wird noch ein zwielichtiger Rebell aufgesucht, da der Polizist. Zumeist wird in den Dialogen die Welt erklärt, es fallen Wörter wie „Accelerated Evolution Syndrome“ oder „Neo-Organe“. Statt über die Welt zu sprechen, hätte ich lieber mehr von ihr gesehen.
Fazit
Am Ende lässt einen Cronenbergs Crimes of the Future verärgert zurück. Nicht, weil er schlecht ist, sondern weil er die spannende Ausgangslage und die atmosphärische Welt verpuffen lässt und stattdessen Belanglosigkeiten ausschlachtet. Einerseits zeigt der Film zu wenig, andererseits zu viel. So verkommt Crimes of the Future eher zu einem Flickenteppich an durchgeknallten Cronenberg-Ideen – das ist zwar immer noch unterhaltsam, aber mehr eben auch nicht.
Bewertung
Genre: Science Fiction/Drama | FSK: 16 | Laufzeit: 108 Minuten | auf Blu-ray