Wie das erste mal in einer Großstadt – Weißes Rauschen Kritik

Inhaltsverzeichnis

Noah Baumbachs neuer Film Weißes Rauschen braucht lange Zeit, um in Gang zu kommen. Fragt man sich zu Beginn, was der Film eigentlich von einem möchte, entpuppt sich Weißes Rauschen mit der Zeit als erfrischendes Durcheinander, das umso länger es andauert, immer besser wird…

Plot

Jack Gladney (Adam Driver) ist Universitätsprofessor für Geschichte und hat sich einen gewissen Ruf als Experte für Adolf Hitler aufgebaut. Zusammen mit seiner Ehefrau Babbette (Greta Gerwig), einem gemeinsamen Sohn der Beiden sowie Kindern aus früheren Ehen bewältigt Jack die alltäglichen Aufgaben einer Patchwork-Familie. Trotz seines eigentlich zufriedenstellenden Lebens kämpft Jack gegen die Angst vor dem Tod. Auch seine Ehefrau, die sich heimlich mysteriöse Pillen einschmeißt, bereitet ihm Sorgen. Als es nahe seiner Heimatstadt einen Chemieunfall gibt und eine scheinbar giftige Wolke über die Stadt zieht, ergreift Jack mit seiner Familie panisch die Flucht…

Kritik

„Was willst du von mir, Film?"

Das gleichnamige Buch von Don DeLillo habe ich sehr geliebt. Entsprechend gespannt und voller Erwartungen war ich bezüglich Baumbachs Filmadaption: Gutes Buch, guter Regisseur (u.a. Marriage Story, 2019) – was kann da schon schiefgehen? Umso mehr hat es mich verwundert, wie lange ich gebraucht habe, um in den Film reinzukommen. Weißes Rauschen ist anfangs nämlich extrem schwerfällig. Das liegt vor allem daran, dass zunächst nicht wirklich klar wird, warum es den Film eigentlich gibt. Denn zu Beginn sehen wir Jack hauptsächlich dabei zu, wie er zwischen Familien- und Universitätsalltag pendelt. Dabei formuliert Baumbach keinen wirklichen Konflikt, keine wirkliche Aufgabe oder ein anderweitiges Ziel, weder für Jack noch für die anderen Figuren. Viel mehr scheint das Leben der Charaktere in Weißes Rauschen erfüllt. Natürlich gibt es die ein oder anderen Problemchen, aber keines davon ist so groß, dass es sich lohnen würde, darüber eine Geschichte zu erzählen. Dadurch fühlt sich Weißes Rauschen zu Beginn belanglos an. Wir sehen scheinbar willkürliche Auszüge aus Jacks Alltag. Wie er im Supermarkt einkaufen geht, an der Universität eine flammende Rede über Hitlers Kindheit hält oder in der Mensa mit anderen Professoren quatscht. Das ist zwar stellenweise unterhaltsam, aber trotzdem habe ich mich zu Beginn immer wieder gefragt: Was soll das Ganze? Was willst du von mir, Film?

Familie, Kinder, 80er

Ein weiteres Problem ist Jacks Familie. Sie steht eigentlich im Zentrum der Geschichte, ist am Anfang jedoch kaum präsent. Ihnen wird leider nicht die Zeit eingeräumt, die sie gebraucht hätten, um sich zu entfalten. Leider setzt sich das bis zum Ende des Films fort. Babbette bekommt später zwar noch etwas Profil, die Kinder jedoch überhaupt nicht. Das ist besonders schade, wenn ich daran denke, wie durchgeknallt und einzigartig die Kinder in Don DeLillos Buchvorlage waren. Und apropos Buchvorlage: Baumbach bleibt sehr nah an dieser dran – für meinen Geschmack zu nah. Vor allem bei den Dialogen hätte ich mir mehr Loslösung gewünscht: Passt der Sprachstil im Buch noch, wirkt er im Film teilweise gestelzt und aufgesetzt. Oftmals hatte ich das Gefühl, dass hier keine Menschen sprechen, sondern ein Drehbuchautor für sie spricht.
Über den Anfang hinweg getröstet hat mich der wirklich coole 80er Look des Films. Nicht nur Autos, Kleidung und Frisuren mancher Darstellerinnen und Darsteller haben ihren Charme, sondern insbesondere die satirisch anmutende Konsumwelt, etwa mit ihrem bunten und vielfältigen Supermarktsortiment oder den knallig leuchtenden Werbeflächen. Auch Adam Driver als leicht durchgeknallter Familienvater macht seine Sache – wie eigentlich immer – fantastisch. Das täuscht aber nicht über das anstrengende und langatmige erste Drittel des Films hinweg. 

Alles und nichts

So richtig entfalten tut sich Weißes Rauschen erst ab dem zweiten Drittel, als Jack und seine Familie nach dem Chemieunfall gezwungen sind, aus ihrer Heimat zu fliehen. Der Film schlägt hier plötzlich in einen Katastrophenfilm à la Krieg der Welten (2005) um: Wir sehen panisch fliehende Menschen, vollgestopfte Straßen, kreisende Helikopter. Ein wirklicher Katastrophenfilm wird Weißes Rauschen aber nicht. Sowieso wird Weißes Rauschen nie irgendwas so richtig. Er ist alles und nichts. Und das ist in diesem Falle positiv gemeint: Baumbach würfelt in Weißes Rauschen Genres und Themen wild durcheinander; wir haben einen Mix aus Drama, Komödie, Mystery, Thriller; mal ist der Film bitterböse Konsum- Massen-, und Medienkritik, mal die Geschichte über Familie oder eben über Katastrophen. Man sollte nicht den Fehler machen, den Film zuordnen zu wollen. Viel mehr sollte man sich auf das Durcheinander einlassen. Dann kann sich Weißes Rauschen richtig erfrischend und ganz anders als die Netflix Durchschnittsware anfühlen. Und auch wenn Baumbach mit unterschiedlichen Genres und Themen spielt: Er verliert sich nicht darin – anders als beispielsweise Jordan Peele in Nope (2022). Irrt der Film anfangs noch ziellos umher, schafft es Baumbach ihm im Verlauf ein zentrales Motiv zu geben. Dazu rückt das Ehepaar Jack und Babbette zum Ende hin vermehrt in den Fokus und es wird nun auch deutlich, was überhaupt das Anliegen des Films ist. Das Finale von Weißes Rauschen fühlt sich dadurch nochmal deutlich intensiver als der Rest des Films an. Das deutsche Publikum darf sich dabei auf einen ganz besonderen Auftritt freuen… 
Und apropos deutsch: Weißes Rauschen ist deutsch „angehaucht“. Da Jack Hitler-Experte ist, versucht er Deutsch zu lernen. In der deutschen Fassung lernt er stattdessen bayrisch, was total bescheuert rüberkommt. Auch so wird in der Originalvertonung manchmal deutsch gesprochen. Diejenigen, die können, sollten den Film also unbedingt auf Englisch sehen, da er so deutlich authentischer rüberkommt. 

Fazit

Weißes Rauschen ist wie das erste mal in einer richtigen Großstadt sein. Am Anfang weiß man nicht so recht, was man hier eigentlich soll. Doch umso mehr Zeit man in der Stadt verbringt, desto mehr gewöhnt man sich an die vielen Eindrücke sowie das Durcheinander und findet es spannend. Oder eben auch nicht. 

Baumbachs neuer Film ist ein eigenwilliger Genre- und Themen-Mix, der sich erfrischend anders anfühlt, jedoch lange braucht, um in Gang zu kommen. Der Film biedert sich nicht an und man muss sich auf ihn einlassen. Wer das kann, wird den Film mögen, wer nicht, der hasst eben Großstädte…

Bewertung

3/5

Genre: Mystery/Drama | FSK: 16 | Laufzeit: 136 Minuten | auf Netflix

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